ERÖFFNUNG SAMSTAG 23.11.2024, 17 – 20 UHR, 19 UHR KÜNSTLERGESPRÄCH MIT TIMM RAUTERT UND PROF. DR. JÜRGEN MÜLLER, TECHNISCHE UNIVERSITÄT DRESDEN
Timm Rautert gilt als einer der bedeutendsten deutschen Fotografen der Gegenwart, der die entscheidenden Trends in der Fotografie seit den frühen 60er Jahren mitgestaltete, ob als Bildjournalist zu Beginn seiner Karriere, als Porträtist oder Chronist einer sich rasant verändernden Arbeitswelt und nicht zuletzt als Hochschullehrer. Angetrieben von der Frage nach der Macht von Bildern und ihrem Einfluss auf die Gesellschaft, schlägt Timm Rautert immer neue Wege vor, sich seines Mediums der Fotografie zu vergewissern. Markant dargelegt bereits in der „Bildanalytischen Photographie“ (1968-1974), hört Timm Rautert nicht auf, die Fotografie als hochkomplexes Bild- und Kommunikationsmedium mit Fragen, die weit über Gestaltung und Komposition hinausgehen, einzukreisen. Dass sie ihm dabei stets entkommt, sich entzieht und verflüchtigt, ist Teil des Konzepts. Timm Rautert ist sich bewusst, dass die Kamera den Blick auf das Leben öffnet und verstellt zugleich. Die beiden unterschiedlichen Ausstellungen in Köln “Dots always work. Neue Montagen” und in Bonn “Vier Spiegel und ein Stein. Fotografische Serien und Installationen“ verhandeln das Sehen und Gesehen-Werden im Kontext von Formen der Aneignung und Macht.
Darin ist auch die Wieder- und Neuaneignung der eigenen mehr als 50jährigen Fotogeschichte ein Thema. Die umfassende Retrospektive seines Werks im Museum Folkwang trug auch deshalb den Namen „Die Leben der Fotografie“, weil Timm Rautert zur permanenten Bedeutungsverschiebung auch seiner eigenen Bilder im Feld sozialer und kultureller Praktiken, Zuschreibungen und Codes, Stellung bezieht. Das Schwanken der Fotografie zwischen Evidenz und Konstruktion macht sie zum Shifter, einem Element der Sprache, dessen Bedeutung nicht ohne Bezug auf die Nachricht definiert werden kann.
Während die Fotografie sich in ihrem dokumentarischen, indexikalischen Charakter selbst zum Verschwinden bringt – etwa, wenn Timm Rautert „Lais von Korinth“, die sagenhaft schöne und hochbezahlte Hetäre des Altertums in einem Renaissancegemälde von Hans Holbein „reproduziert“ – wird der Malerei im Allgemeinen ein inventiver, ikonischer Charakter zugesprochen. Bewegt die kunsthistorische Forschung zu Holbeins Lais mitunter auch der Wert der blechern erscheinenden Münzen auf der Brüstung vor der Kurtisane – wo eine billige Reproduktion, statt Gold vermutet wird – so nutzt Timm Rautert die fatale Verknüpfung von Schönheit, Geld und Macht zu einem medientheoretischen Exkurs.
In der Bonner Ausstellung “Vier Spiegel und ein Stein. Fotografische Serien und Installationen“ (2024) steht das Motiv des Spiegels im Zentrum einer sich bis in die Jahre 1960er-Jahre zurückerstreckenden Auseinandersetzung Rauterts mit dem Verhältnis der Fotografie zum Spiegelbild – als Inbegriff eines Wechselspiels von Sehen und Gesehen-Werden, von Konstruktion und Wahrheit. Immer wieder fotografiert sich der Künstler selbst im Spiegel, reflektiert seine Position im Feld der Kunst und Politik.
Diese Selbstbefragung des Fotografischen findet ihren konzeptuellen Kern in der neuesten Installation “Vier Spiegel und ein Stein“ (2024). Rautert bezieht sich hier auf ein Zitat von Malcolm Lowry, in dessen Roman „Unter dem Vulkan“ die Hauptfigur, der Konsul, an einer Stelle sinniert:
„Warum war er hier? Warum war er mehr oder weniger immer hier? Er hätte gerne einen Spiegel gehabt, um sich diese Frage zu stellen. Aber hier war kein Spiegel. Nichts als Stein.“
Als Betrachtende betreten wir einen Raum in dessen Zentrum sich ein Stein befindet, der sich in vier Spiegeln an den Wänden wiederfindet. Nicht zu sehen ist er auf den Fotografien exakt dieser Spiegel, die allgemein als nicht fotografierbar gelten, ohne, dass sich der Fotograf darin mit verewigt. Timm Rautert gelingt die Fotografie der silbern spiegelnden Oberfläche als monoton graue, absolut indifferente Fläche, die den Betrachtenden keine Antwort zu geben imstande ist und in seiner Aussageverweigerung möglicherweise das Foto als Konstruktion schlechthin ist.