Margret Hoppe, Homa Emami, René Halkett, Lucia Moholy
Burg Lede Bonn 29.08.–14.09.24

STUDIO-AUSSTELLUNG IN KOOPERATION MIT DER KÖRBER-STIFTUNG UND BUNDESSTADT BONN

1. – 14. SEPTEMBER.2024
ERÖFFNUNG SONNTAG, 1. SEPTEMBER 2024, 11 UHR
MIT EINER EINFÜHRUNG DES KURATORS PROF. ROLF SACHSSE

KONZERT IM BURGPARK, SONNTAG 8. SEPTEMBER 2024, 17 UHR
Ein transkulturelles Musikprojekt von Reeder Saher (Gesang und Saz) aus dem Irak und Ayham Nabuti (Gitarre) aus Syrien – zwei geflüchtete Musiker, die Vieles zurücklassen mussten, aber die Lieder und Melodien ihrer Heimat mitbringen.

Exil. Emigration ist die Verlagerung eines Lebensmittelpunkts aus dem Geburtsland in ein anderes. Zum Exil wird diese Verlagerung, wenn es keine Möglichkeit der Rückkehr mehr gibt – nur die Hoffnung darauf, dass sich die politischen Verhältnisse im Heimatland fundamental ändern. Ist das Exil bereits für jeden Menschen eine grundsätzlich traumatisierende Erfahrung, so hat es in den Biografien gestalterisch tätiger Menschen immer eine mehrfache Auswirkung auf Arbeit und Werk. Das reicht von Verlust und Neuanfang im eigenen Umfeld über den Konformitätsdruck der neuen Umgebung bis zu Des-Orientierung und Haltlosigkeit bei der Suche nach einem Platz in der neuen Gesellschaft des Exils. Ein Blick auf die ästhetische Produktion im Exil muss daher immer mehrere Perspektiven einnehmen, von der empathischen Sicht auf die besonderen Lebensumstände von Künstler*innen im Exil bis zu der kritischen Betrachtung der dort entstandenen Werke im Kontext einer genuin internationalen, welt-umspannenden Kunst. Die hier vorgestellten vier Positionen zur Kunst im Exil führen dabei unterschiedliche Umgangsformen mit der Differenz von Leben und Werk vor: vom vollständigen, auch rechtlichen Verlust der eigenen Produktion bei Lucia Moholy zum radikalen Neuanfang im Exil bei René Halkett, vom Versuch der Aufrechterhaltung eigener Kontinuität bei Homa Emami bis zum Blick von außen auf die Exil-Situation französischer und deutscher Intellektueller an der Côte d’Azur bei Margret Hoppe. Ergänzt wird die Ausstellung durch eine Reihe von Büchern zum Thema Exil, auch hier wieder in der Breite des Themas: Heinrich Heines Schriften im französischen Exil sind hier ebenso vertreten wie ein Fotobuch des 17 Jahre lang staatenlos in Frankreich lebenden Josef Koudelka.

Lucia Moholy (Prag 1894 – 1989 Zürich) wuchs als Tochter eines jüdischen Rechtsanwalts in Prag auf und lebte von 1923 bis 1928 mit ihrem Mann László Moholy-Nagy am Bauhaus, Sie wurde dort zur wichtigsten Dokumentaristin der Schule, ihrer Gebäude und Produkte, aber eine offizielle Funktion hatte sie am Bauhaus nie. 1933 musste sie aus Berlin flüchten, weil ihr damaliger Lebensgefährte Theodor Neubauer, Fraktionsvorsitzender der Kommunistischen Partei im Reichstag, in ihrer Wohnung verhaftet worden war. Auf Umwegen kam sie über Prag und Paris nach London, arbeitete dort als Porträtistin, schrieb eine Geschichte der Fotografie, entwickelte Microfilm-Anwendungen für wissenschaftliche Bibliotheken und leitete einen Verfilmungs-Service. 1945 konzipierte sie ein Archiv-Programm für die Gründungskonferenz der UNESCO und leitete in deren Auftrag mehrere Projekte in der Tschechoslowakei und der Türkei; parallel trat sie auf zahlreichen Konferenzen zur Reproduktionstechnologie als Mikrofilm-Spezialistin auf. 1958 schrieb sie in Berlin eine Firmengeschichte und erhielt 1959 einen Lektorats-Auftrag in der Schweiz; ab 1960 edierte sie die Bücher von Johannes Itten und ließ sich endgültig in Zürich nieder, auch um ihrem Bruder, dem Drehbuchautor Franz Schulz (auch: Frank Spencer, Prag 1897 – 1971 Muralto/Tessin) wieder näher zu sein. 1966 begann sie eine intensive Tätigkeit als Kunstkritikerin. 1978 gab es die erste Ausstellung ihrer Fotografien unter ihrem Namen, 1985 erschien die erste Monografie zu ihrem Leben und Werk. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden ihre Bilder vom Bauhaus so gut wie nie unter ihrem Namen publiziert, sondern als Gemeingut der Kunstschule und ihres Gründers betrachtet. Genau das signalisieren – neben einem Print ihrer Bauhaus-Fotos – ihre hier ausgestellten Karteikarten: Für die Buchproduktion von 1985 ließ sie sich von allen zum Druck vorgesehenen Bildern kleine Kopien machen und versah sie auf den Karten mit den von ihr als endgültig ausgesuchten Bildtiteln – eine Rückgewinnung der Identität durch Erinnerung und Bezeugung.

René Halkett (eig. Georg Friedrich Freiherr von Fritsch, Weimar 1900 – 1983 Camelford U.K.) kam nach einer militärischen Laufbahn des-illusioniert aus dem Ersten Weltkrieg zurück und schloss sich der freien Jugendbewegung an. Von dort kam er über den Tanzunterricht an der Loheland-Schule in der Rhön zum Bauhaus in Weimar, studierte bei László Moholy-Nagy, Wassily Kandinsky sowie Paul Klee und arbeitete an der Bauhaus-Bühne von Oskar Schlemmer mit. Ab 1927 war er freier Journalist in Berlin und emigrierte 1936 endgültig nach London, von wo aus er bald mit der Kunstschule Dartington Hall zusammen arbeitete. Ab 1940 war er Freiwilliger im britischen Militär und arbeitete ab 1942 an der Propaganda gegen NS-Deutschland mit. 1947 wurde er Übersetzer bei den Nürnberger Prozessen und war ab 1956 beim Deutschen Dienst der BBC in London tätig. In dieser Zeit nahm er seine künstlerischen Arbeit wieder auf; seine früheren Werke waren durch Flucht und Krieg fast vollständig verloren gegangen. Ab 1967 lebte Halkett in Camelford/Cornwall, von wo aus er wöchentlich ein Feature in der BBC ausstrahlte. Von 1980 bis zu seinem Tod arbeitete er mit David J. von der Band ‚Bauhaus‘ zusammen, die einige seiner Texte vertont hat.

Homa Emami (Teheran 1955 – ) studierte bis 1979 Bildhauerei an der Fakultät der Schönen Künste in Teheran und kam Ende 1985 in die Bundesrepublik, wo sie von 1989 bis 1993 an der FH Köln im Bereich Kunst und Design ein weiteres Studium absolvierte. Ihre künstlerische Arbeit nutzt die unterschiedlichsten Medien und Materialien wie Zeichnung, Malerei, plastische Objekte und Fotografie; vielfach bindet sie typografische Elemente in diese Arbeit ein, aber auch Haare und Textilien. Ein wichtiger Werkkomplex, der in der Studio-Ausstellung zu sehen sein wird, besteht aus Blöcken im Format kleiner Bücher, die sie aus Zeitungspapier iranischen Ursprungs herstellt. In ihnen sind Erinnerungen gelagert oder könnten es sein. Diese Blöcke werden oft in Spindschränke oder Büroregale gestapelt; in der Burg Lede füllen sie einen eingebauten Bibliotheksschrank. Seit den Frauenprotesten des Jahres 2022 ist Homa Emami die Rückkehr in ihr Heimatland verwehrt.

Margret Hoppe (Greiz 1981 – ) hat zunächst Philosophie und Kunstgeschichte studiert, bevor sie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig ein Studium der Fotografie bei Timm Rautert und Christopher Muller absolvierte; seit 2011 betreibt sie zudem ein Promotionsstudium an der Hochschule für Gestaltung Offenbach. In ihren Bildserien, die sie jeweils nach langen und umfangreichen Recherchen erstellt, beschäftigt sich Margret Hoppe mit Orten, denen Spuren von Kultur, Geschichte, Politik und Ideologie eingeschrieben sind – das geht von einer alten Mühle über das Bauhaus in Dessau und jüdischen Überlieferungen in Thessaloniki zu den Resten des Südwalls, einer Bunker- und Befestigungsanlage der Deutschen Wehrmacht in Südfrankreich während des Zweiten Weltkriegs. In den Orten Sanary-sur-mer und Les Milles hat Margret Hoppe die vorläufigen Wohnorte jener Exilant*innen aufgespürt, denen später von Varian Fry und dem Emergency Rescue Committee die lebensrettende Überfahrt in die USA ermöglicht wurde – ein Schicksal, das nur den Privilegierten unter den Exilant*innen jener Jahre zuteil wurde. In ruhigen Bildern schildert die Künstlerin die Verschlossenheit dieser Überlebens- und Angsträume und zeigt auch auf, wie wenig sicher jedes Leben im Exil war und ist.

Text Prof. Rolf Sachsse