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BERNAR VENET
DAS FOTOGRAFISCHE WERK 1961-2023
Die Hypothese: Materie und Nicht-Materie
GALERIE KÖLN 30.8.–16.11.2024
ERÖFFNUNG UND SONDERÖFFNUNGSZEITEN WÄHREND DC-OPEN
FREITAG 13–22, SAMSTAG 11–20, SONNTAG 11–18 UHR
GALERIE BURG LEDE BONN 7.9.–16.11.2024
ERÖFFNUNG MIT EINEM KÜNSTLERGESPRÄCH GELEITET VON DAMARICE AMAO, KURATORIN FÜR FOTOGRAFIE AM CENTRE POMPIDOU IN PARIS
SAMSTAG 7. SEPTEMBER 2024, 19 UHR – MIT EMPFANG IM ANSCHLUSS
Wie ein riesiges Tor öffnen sich auf einer Verkehrsinsel im ehemaligen Regierungsviertel Bonns zwei Bogenreihen mit einer Gesamthöhe von 17 Metern, gefertigt aus 42 Tonnen Cortenstahl. Mit der Neigung der insgesamt 14 Bögen von 89 Grad referiert Venet auf das Wende-Jahr, das mit der deutschen Wiedervereinigung nicht zuletzt für Bonn einschneidende Veränderungen brachte. Der Künstler ist weltweit insbesondere durch seine abstrakten monumentalen Skulpturen im öffentlichen Raum bekannt. Doch sein Werk ist weit vielseitiger. Am wenigsten bekannt, selbst für Spezialisten der Geschichte der Fotografie, ist sein fotografisches Werk, obwohl es seine künstlerische Praxis von den frühen 60er Jahren an begleitet hat. Im Einklang mit den ikonoklastischen und konzeptuellen Entwicklungen des Nouveau Réalisme, standen am Anfang seines Schaffens in Nizza monochrome Teerbilder („Goudrons“). Zur gleichen Zeit fotografierte Venet in der Serie „Macadam noir blanc“ (1963) Asphaltoberflächen in Schwarz-Weiß. Die Fotografien sind Teil seines experimentellen Ansatzes, der mit seiner Frage nach dem „Ende der Malerei“ korrespondiert. Auch in seinen frühen Fotografien zeichnet sich Venets Streben nach Abstraktion, Nüchternheit und Materialitätstreue früh ab. Als er 1966 nach New York übersiedelte, sind es jene Tendenzen, die ihn dazu führen neben Dan Flavin, Donald Judd, Carl André und Sol LeWitt den amerikanischen Minimalismus entscheidend mitzuprägen. Auf jene Zeit geht auch sein Interesse für wissenschaftliche Herangehensweisen, mathematische Gleichungen und entsprechende bildgebende Verfahren zurück. 1967 befasste sich Venet im Brookhaven Laboratory in der Nähe von New York mit „Bildern des Unsichtbaren,“ die in sogenannten „Blasenkammern“ entstanden. Eingefangen werden darauf Spuren von Antiprotonen, die mit Protonen in einem Teilchendetektor kollidieren. In gewissem Sinne steht das immense Gewicht der Materie seiner Stahlskulpturen in spannungsvoller Korrelation zum unermesslich Kleinen der mikroskopischen Welt der Atome bis hin zum Immateriellen und entspricht doch nur einer anderen Weise der Betrachtung von Materie und der verändernden Energie. Mit der Fotografie steht Venet immer dann im Bunde, wenn sie ihm dabei hilft, dem Material und seinem Mysterium auf die Spur zu kommen. Er nutzt sie nicht in ihrer vorgeblich dokumentarischen Funktion, sondern braucht sie da, wo sie sich als Medium selbst befragt und fraglich wird. Nicht das, was die Fotografie zu zeigen imstande ist, nutzt Venet für sich aus, sondern das, was die Fotografien im Zeigen verbirgt, etwa in seiner Serie schwarzer Porträts von 1961 an. So ist es in der Serie „Gewalzter Stahl“ die rudimentäre Darstellung des geradezu martialischen Arbeitsprozesses auf höchstem Energieniveaus, das die Fotografie leichterdings als reinen Schwarz-Weiß-Kontrast auf Papier bannt. Vom Kampf mit der Materie und ihrem Gewicht bleiben lediglich Spuren hellen, sich an scharfen Kanten brechenden Scheins auf dem Fotopapier zurück. Über das kräfte-und energiezehrende Zutun zu diesen, das menschliche Maß bei weitem überschreitenden Skulpturen, schweigt die Fotografie und bleibt als physikalisches Konstrukt mit eigenem Gewicht zurück. Äquivalenz ist ein von Venet häufig genutzter Terminus zur Beschreibung seiner Arbeitsweise. Es geht um die Gleichwertigkeit der künstlerischen Ideen, die sich in unterschiedlichen Aggregatzuständen zeigen. Sie alle sind gekennzeichnet durch das Bestreben, dem Material gerecht zu werden und seine Bedingungen am Rande des Möglichen zu erforschen. So auch in seinen Fotografien „Saturation“ (Sättigung). Wie die unterschiedliche „Körnung“ des Teeres in der Serie „Macadam noir blanc“ einerseits ein Charakteristikum des abgebildeten Materials als auch der Fotografie als Technik selbst darstellt, so ist auch die Sättigung ein fotografischer Begriff. In den Fotografien der Serie „Saturation“ (1980) entsteht durch die Überlagerung von Textpassagen aus den „Unvollständigkeitssätzen“ des Mathematikers Kurt Gödel ein annähernd monochrom schwarzes Foto, an dessen Rändern sich noch Spuren der Schrift und des fotografischen Verfahrens ablesen lassen. Die Abstraktion der Mathematik verhilft Venet im Bunde mit den Mitteln der Fotografie vom Abbild der Wirklichkeit zur Herstellung von Wirklichkeit überzugehen. Untergräbt doch das monochrome Schwarz die herkömmliche mimetische Funktion der Fotografie. „Das Schicksal des fotografischen Monochroms seit der Erfindung des Mediums, von der Ablehnung bis zur ästhetischen Anerkennung, ist bezeichnend für die Umkehrung des Wertes, die von den Avantgarden – allen voran Man Ray, neben László Moholy-Nagy und Alexander Rodtschenko – eingeleitet wurde und in deren radikaler Folge Bernar Venets fotografische Experimente stehen.“ (Damarice Amao) Bernar Venet steht damit für eine experimentelle Erforschung des Mediums der Fotografie, die in Deutschland durch die Subjektive Fotografie Otto Steiners und die Generative Fotografie seines Schülers Kilian Breiers sowie die bildanalytische Fotografie von im Rautert flankiert wurde. Timm Rauterts Fotografie „Kleines Schwarzes“ (1971) zeigt, wie ein abstraktes fotografisches schwarzes Quadrat nach Malewitsch aussehen könnte. Die Antwort bleibt mehrdeutig und wird durch das Durchdeklinieren von verschiedenen Belichtungszeiten gewonnen. Ohne Fotoapparat belichtet Timm Rautert unter dem Vergrößerungsapparat ein quadratisches Fotopapier in additiver Reihung (+1/10) so lange, bis es – entwickelt – schwarz erscheint. Das “Kleine Schwarze“ wird in der achten Belichtung erzielt.
Die Fotografien von Bernar Venet zeigen sich im Programm der Galerie Parrotta also in besten Kreisen. Im unaufhaltsamen Niedergang der analogen Fotografie konzentriert sich im Programm der Galerie Parrotta eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern, die selbst die Geschichte der Fotografie maßgeblich mitgeprägt haben und/oder auf archäologische Weise die Ursprünge und Voraussetzungen des fotografischen Bildes erforschen.
Wir freuen uns, Bernar Venet mit einer umfassenden Ausstellung seines fotografischen Werkes erstmals in Deutschland zu zeigen.